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Editorial

«Man muss Entscheidungen immer schnell fällen. Auch wenn es die falsche ist. Und man weiss, dass es die falsche ist.»

Daniel Brühl gehört zu den erfolgreichsten deutschen Schauspielern, feierte 2003 mit «Good Bye, Lenin!» seinen internationalen Durchbruch und danach zahlreiche Welterfolge, unter anderem mit Quentin Tarantinos «Inglourious Basterds». Dieses Jahr legte er mit «Nebenan» sein Regiedebut hin. Anfang Oktober war der 43-Jährige im Rahmen des Zürich Film Festivals in der Stadt. Ein Gespräch über den Zauber alter Filme, Erfolgsdruck und warum das Kino trotz Streaming-Giganten wie Netflix bestehen bleibt.

Welchen Film haben Sie privat zuletzt gesehen?

(Überlegt kurz) Das war «Die Schuhputzer» von Vittorio de Sica. Ein absoluter Klassiker, den ich bislang tatsächlich noch nie gesehen habe. Das passiert mit häufiger, dass ich mich frage, welchen Film ich noch anschauen will. Und ich muss sagen, ich war wieder beeindruckt, wie zeitlos die Filme waren, die die Italiener damals gemacht haben. Lustigerweise habe ich genau diese Woche einen tollen Film im Wettbewerb des Zürich Film Festival von einem italienischen Regisseur gesehen, der es schafft, in dieser Tradition zu bleiben und sie gleichzeitig modern umzusetzen. Ich finde es erstaunlich, dass die Filme von damals nicht altern. Während man produziert, hat man keinerlei Einfluss darauf, ob und wie sie später wahrgenommen werden. Das entscheidet die Zeit. Letztens habe ich mit einem meiner Neffen «All about Eve» geschaut, ein Schwarz-Weiss-Film, was bei jungen Leuten ja erstmal keine Begeisterungsstürme auslöst (lacht). Aber dann schaut man ihn und stellt fest, dass der Film frischer und dynamischer ist als die Hälfte der heutigen.

Welchen Film könnten Sie immer wieder sehen?

Auch da bleibe ich in dieser Zeit: «Rocco und seine Brüder» habe ich glaube ich tausend Mal gesehen. Mit dem jungen Alain Delon. Ein absolutes Meisterstück. Der Film ist in Kapitel aufgeteilt und fügt sich in eine sehr emotionale, tiefe Geschichte über diese Familie, die aus dem Süden nach Mailand zieht und versucht sich da irgendwie durchzuschlagen. Inklusive der ganz grossen Themen wie Liebe, Verrat und Hass sowie dieser Konkurrenz unter den Brüdern. Das hat mich schon mit 16 Jahren begeistert, als ich meinen ersten VHS-Rekorder hatte und mein Vater mir diesen Film empfohlen hatte. Ich wollte dann vor dem Spiegel immer so cool aussehen wie Alain Delon oder Jean-Paul Belmondo in «Ausser Atem». Es hat aber leider nie funktioniert. Ich bin aber trotzdem Filmschauspieler geworden. Immerhin (lacht). Gerade war Paul Schrader hier, der mich auch immer beeinflusst hat. «Taxi Driver», all diese Filme aus der Zeit, die «New Hollywood Filme», die kann man immer wieder schauen. Es ist beeindruckend, wie diese Filme Produktionen wie etwa «Joker» zu hundert Prozent beeinflusst haben.

Sie haben ein Faible für alte Filme. Ist diese Zeit also immer noch prägend für den heutigen Film?

Ja, auf jeden Fall. Damals wurden tolle Sachen gemacht, die heute immer noch zitiert werden. Wenn man das gut macht, und auch etwas Eigenes rein gibt, dann ist das toll. Wenn es aber einfach nur wieder um eine Reproduktion geht, was ja häufig der Fall ist, dann wird es irgendwann langweilig. Aber es ist auch klar, dass es heute nicht mehr so einfach ist, noch etwas Gutes hinzuzufügen. Aber ich bin jetzt erst 43 und sage nicht «früher war alles besser». So ist es nicht (lacht)! Das hat sich auch diese Woche am Zürich Film Festival bestätigt.

© Zurich Film Festival, Green Carpet

Sie präsidieren am diesjährigen Zürich Film Festival die Jury des «Spielfilm Wettbewerb» und haben dafür die letzten Tage unzählige Filme gesehen. Ihr Fazit?

Der Wettbewerb war fantastisch. Eine tolle Auswahl und das Beste, was auch von anderen Festivals zusammenkam. Da waren ein paar absolute Highlights dabei. Das zeigt auch, dass es immer wieder neue Stimmen, neue Geschichten und neue Filmemacher gibt, die beeindruckende Arbeiten machen. Ich hatte eine gute Woche hier. Das Zürich Film Festival ist perfekt organisiert und behandelt seine Gäste immer gut! Das kenne ich so in Deutschland nicht mehr. In der Schweiz funktioniert das alles noch (lacht). Ich hatte grossartige Jurykollegen, wohne in einem grandiosen Hotel (Anm. Er war Gast im The Dolder Grand) in einer wunderschönen Stadt. Also ich kann mich nicht beklagen. Es gibt absolut nichts auszusetzen. Das ist fast unheimlich (lacht).

Streaming wird immer beliebter – Sehen Sie das als Chance oder Gefahr fürs Kino?

Das ist ein zweischneidiges Schwert. Ich muss sagen, dass durch das Streamen tolle Sachen entstanden sind. Aber dadurch hat es das Kino natürlich immer schwerer. Das ist eine ernstzunehmende Konkurrenz. Es geht jetzt auch darum, das Kino zu retten. Und da helfen natürlich Festivals wie das ZFF. Ich fand es diese Woche schön zu sehen, dass die Kinos wieder voll waren. Das ist enorm wichtig und es zeigt einmal mehr die Magie, die es hat, zusammen mit anderen Menschen auf so eine Reise zu gehen und sich einen Film anzuschauen. Das ist einfach mit nichts zu vergleichen. Und das können auch der Beamer und Leinwand zu Hause, wie ich sie habe, nicht ersetzen. Aber klar, neben Produktionen wie James Bond und Marvel müssen natürlich auch die kleineren Filme eine Chance haben. Und das ist heute definitiv schwerer als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Ich muss zugeben, ich habe noch keine klare Zukunftsvision fürs Kino. Aber ich denke, es wird nie ganz verschwinden. Dafür ist es zu magisch.

Mit «Nebenan» haben Sie dieses Jahr erfolgreich ihr Regiedebut gefeiert und zugleich die Hauptrolle gespielt. Wie gross war der Druck für Sie, dass das ein Erfolg werden muss? Oder anders gefragt: Wie sehr setzt man sich selber unter Druck?

Ich denke, es geht immer darum, es zu kaschieren. Man tut so, als wäre alles in Ordnung. Das ist wie mit der Eitelkeit, die sollte man auch immer kaschieren, sonst wird’s unangenehm (lacht). Und so ein Druck kann durchaus auch etwas Positives auslösen. Es ist ein wunderbares Gefühl, wenn man den Druck aushält und übersteht, wenn man Angst und Nervosität überwindet und es einfach macht, anstatt immer nur davon zu reden. Das hat etwas sehr Befreiendes und Erfüllendes. Aber es gab natürlich Sachen, die brauchte niemand, auch ich nicht, nämlich die Ankunft der Pandemie in Berlin. Das war genau am ersten Probentag. Die erste Welle war da. Mit der grossen Ungewissheit. Dann war das Projekt erstmal auf Eis gelegt und es sah kurz danach aus, als würde alles platzen. Was nach zwei Jahren schreiben mit Daniel Kehlmann ehrlich gesagt extrem bitter war. Aber ohne es zu wissen habe ich mir ein sehr Pandemie-freundliches Konzept überlegt: Vier Typen in der Kneipe und ein kleines Team in der Umsetzung. Es ging also. Und alle Beteiligten haben es mir ermöglicht, das Projekt trotzdem und unter Einhaltung aller Sicherheitsmassnahmen umzusetzen. Und es ist gut gegangen. Darüber bin ich sehr glücklich.

Hat sich nach dieser Erfahrung Ihr Blick auf die Schauspielerei verändert?

Ja, es hat die Demut bzw. mein Respekt dem Regisseur gegenüber noch gesteigert. Wenn man es selber macht, wird einem auf einmal bewusst wie viel man da tagtäglich entscheiden muss. Da kann man sich auch nicht drücken. Du bist für alles verantwortlich und musst schnelle Entscheidungen treffen. Das hat mir auch der Regisseur Matthew Vaughn mit auf den Weg gegeben. Der meinte: «Du musst Entscheidungen immer schnell fällen. Auch wenn es die falsche ist. Und man weiss, dass es die falsche ist.» Man sollte gar nicht erst damit anfangen zu straucheln und zu lange zu überlegen. Denn die Maschinerie läuft, die Uhr tickt, und wenn gedreht wird, ist da immer ein wahnsinniger Druck.

Man sagt ja immer: «Lieber eine falsche Entscheidung treffen als keine.»

Genau! Das habe ich beherzigt. Zum Beispiel mit Schauspielern, die immer gerne mit genialen Ideen zum Regisseur kommen, auch wenn es gerade überhaupt nicht passt. Das kenne ich von mir selber, wenn man dann beleidigt ist, dass der Regisseur gerade keine Zeit hat. Jetzt wo ich selber in dieser Position war, habe ich gemerkt, wie nervig das sein kann (lacht laut). Das war eine gute Erfahrung. Ich habe allergrössten Respekt vor Filmemachern, die das schon seit Jahrzehnten machen und immer wieder diese Berge erklimmen, die Finanzierung sichern, Leute überzeugen, dann drehen, dann muss man schneiden, dann findet es jemand langweilig, dann nochmals schneiden, dann kommen die Kritiker, die es zerreissen. Und dann den nächsten Film machen. Also immer weiterkämpfen und weitermachen – davor habe ich grössten Respekt.

Wie gehen Sie selber mit Kritik um?

Mein Vater, der auch Regisseur war, hat mir diesbezüglich wichtige Inputs mit auf dem Weg gegeben. Man muss versuchen, seinen inneren Kompass richtig auszurichten und trotz aller Einflüsse, die auf einen einprasseln, in sich reinzuschauen und sich selbst ganz ehrlich zu fragen: «War das jetzt gut oder schlecht?». Ich habe nun meinen Film gemacht und ich finde den gut. Das ist wichtig. Aber freuen tut es mich natürlich nicht, wenn dann wieder rumgemäkelt wird. In Deutschland macht man das immer ganz gerne. Aber ich bin generell sehr wohlwollend und positiv beurteilt worden. Das lese ich mir durch, das andere nicht. Und es kann mich nicht im Mark treffen, weil ich am Ende des Tages glücklich mit meiner Arbeit bin. Ich wäre mir selbst gegenüber aber auch ehrlich genug, wenn es anders wäre.

Ihre Traumrolle?

Das hatte ich tatsächlich nie konkret. Napoleon vielleicht (lacht). Nein, Spass. Ganz grob würde mir schon eine Figur einfallen. Ich würde wahnsinnig gerne mal was in meinem eigentlichen Dialekt machen. Ich bin ja in Köln gross geworden. Und ich mag diese kölsche und rheinische Art. Die hat so was Trauriges und damit grosses Potential für eine super Verlierer-Rolle. Aber eine, die ans Herz geht. Und dann mal so reden zu dürfen in nem Film dat würd isch total jerne (spricht kölschen Dialekt). Das wäre was, wurde mir aber noch nie angeboten. Aber jetzt bin ich selber dabei, mit einem Journalisten-Kollegen von Ihnen, was auszutüfteln und vielleicht wird das dann was.

Daniel Brühl ist in Köln gross geworden

Einfach das Zepter selber in die Hand nehmen!

Genau. Wenn ‘s von aussen nicht kommt, muss man es selber machen. Und es kommen zwar viele Sachen von aussen, aber wenn es so konkret wird wie das, da kann man unter Umständen lange warten. Aus diesem Grund bin ich vor ein paar Jahren einer Produktionsfirma beigetreten. Und sehr glücklich, wie sich das entwickelt. Jetzt haben wir gerade «Im Westen nichts Neues» gemacht, für ein riesen Budget, zumindest für deutsche Verhältnisse. Das war ein grosses Unterfangen für uns, was mich auch richtig stolz macht. Wir haben auch für die Zukunft tolle Projekte in petto. Das macht grossen Spass.

Die letzten 1.5 Jahre waren und sind für jeden von uns einschneidend. Was ist Ihre grösste Erkenntnis aus dieser Zeit?

Dankbarkeit! Dankbarkeit für das, was man hat. Unser zweiter Sohn wurde mitten in der Pandemie geboren und ist gesund zur Welt gekommen. Meine ganze Familie, auch die älteren Mitglieder, sind alle gesund geblieben. Allein dafür bin ich dankbar. Und dann in einem Land und in einer Stadt leben zu können, wo man auch weiss, dass man gut aufgehoben ist und ein gut funktionierendes Gesundheitssystem hat, das weiss ich wahnsinnig zu schätzen. Jetzt kommt das Leben langsam wieder und ich merke, wie gross meine Sehnsucht danach ist. Gerade in meinem Beruf, der ja sehr sozial ist. Und es ist schön, die Menschen wieder in den Restaurants und in voll besetzten Kinos zu sehen. Das habe ich nicht zuletzt hier in Zürich gemerkt.

Welche Playlist hören Sie gerade?

Ich habe im Moment wieder viele italienische Nummern ausgepackt. Vermutlich auch deshalb, weil ich hier in Zürich durch die Filme eine sehr italienische Woche hatte. Ich habe so eine Playliste, die nicht mehr aufhört. Es gibt beispielsweise diesen sehr poppigen Italiener, den ich sehr mag, Germanò , ich glaube er ist aus dem Norden Italiens. Und hier in Zürich sind wir mit offenen Fenstern Auto gefahren und haben laut «Felicità » gesungen.
Das muss manchmal sein (lacht).

Wie oft am Tag sind Sie auf Instagram?

Oh, das muss man unbedingt begrenzen. Vor allem mit Kindern. Also schon ein paar Mal am Tag. Aber eigentlich ist die Regel nicht öfter als zweimal am Tag aufs Handy zu schauen. Mit Kindern ist das wichtig. Denn die Magie von diesem Gerät ist bereits bei unserem 1-Jährigen angekommen. Da kann man fünf Duplo hinstellen; er will zu dem leuchtenden Bildschirm. Das ist Horror. Meine Frau ist da sehr diszipliniert und ich versuche es auch. Und schau dann nur heimlich (lacht). Aber man sollte sich von diesen Sachen wirklich nicht zu abhängig machen. Ich finde Instagram toll, es bietet viele Möglichkeiten, vor allem auch eigene Projekte vorzustellen und die Fans zu erreichen. Es entspricht unserem Zeitgeist. Es sollte aber nicht den Tagesablauf bestimmen und in eine Abhängigkeit führen. Denn wen interessiert, was man zum Frühstück isst? Es ist doch viel interessanter, ein Rest-Geheimnis zu bewahren, anstatt sich komplett zu entzaubern.

Was ist Luxus für Sie?

Reisen! Ich bin froh, dass das jetzt auch wieder möglich ist. Andere Leute und Kulturen kennenlernen. Zeit für sich selber zu haben. Zeit ohne Ablenkung, vor allem ohne Handy. Zeit ohne Handyempfang. Dann braucht man auch keine Meditations-Apps mehr (lacht).

Welchen Wunsch wollen Sie sich irgendwann einmal noch erfüllen?

(überlegt) Ich träume schon lange von «meinem Ort» in Spanien. Auf dem Land. Und danach suche ich. Ein Rückzugsort. Das wäre wunderbar!